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Das Fairnessgebot bei Prüfungen

Immer wieder kommt es ­ gerade in der Zahnmedizin, wo mündliche Prüfungen die Regel sind, ­ zu Situationen, in denen der Prüfling sich in der Prüfung unfair behandelt fühlt. Wir betrachten deshalb im Folgenden das "prüfungsrechtliche Fairnessgebot" einmal genauer.

Es gibt im Prüfungsrecht drei Verfahrensprinzipien, die häufig gleichgesetzt oder miteinander verwechselt werden: Fairness, Sachlichkeit und Unvoreingenommenheit. Wenngleich diese Prinzipien inhaltlich nahe beieinander liegen und Verstöße gegen sie häufig auch gemeinschaftlich auftreten, müssen sie doch voneinander unterschieden werden, weil sie ihre Relevanz in unterschiedlichen Abschnitten innerhalb des Prüfungsverfahrens erlangen:

  • Die Fairness betrifft das Verhalten des Prüfers in der Prüfung selbst, also in erster Linie sein Auftreten gegenüber dem Prüfling. Damit ist auch schon gesagt, dass die Fairness ein Gesichtspunkt ist, der regelmäßig bei mündlichen Prüfungen relevant wird. Die Beeinträchtigungen des Prüfungsablaufs, auf deren Verhinderung das Fairnessgebot gerichtet ist, sind bei schriftlichen Prüfungen nicht zu befürchten, weil Prüfer und Prüfling nicht unmittelbar aufeinander treffen. Zum Fairnessgebot weiter unten mehr.
  • Die Sachlichkeit ist gleichsam die auf Bewertungsebene angesiedelte Erweiterung der Fairness. Sachlichkeitsfragen treten vornehmlich bei schriftlichen Prüfungen auf. Das, was bei mündlichen Prüfungen einen Verstoß gegen das Fairnessgebot darstellt, nämlich das unsachliche, "niedermachende" Herabqualifizieren des Prüflings oder seiner Prüfungsleistung, tritt bei schriftlichen Prüfungen in den Korrekturanmerkungen zutage und erlaubt gegebenenfalls den Rückschluss, dass der Korrektor nicht die notwendige sachliche Distanz aufweist, die seine Arbeit erfordert. Sachlichkeitsfragen werden bei mündlichen Prüfungen selten auftreten, denn der Bewertungsvorgang wird nicht in gleicher Weise dokumentiert wie bei den schriftlichen Prüfungen mit der umfangreichen Bewertungsbegründungspflicht.
  • Die Unvoreingenommenheit läuft in der fachlichen Befassung zumeist unter dem Stichwort "Befangenheit/Besorgnis der Befangenheit", was auf die entsprechende gesetzliche Formulierung in § 21 VwVfG zurückzuführen ist. Sie betrifft, anders als Fairness und Sachlichkeit, nicht ein konkretes Prüferverhalten, sondern sie ist die "vor die Klammer gezogene" Anforderung an den Prüfer. Schon wer befangen sein könnte, darf am Prüfungsverfahren nicht mitwirken, es muss nicht abgewartet werden, bis die mögliche Befangenheit auch tatsächlich in Form von Fairness- oder Sachlichkeitsverstößen durchschlägt. Selbstverständlich aber eröffnet andererseits unfaires oder unsachliches Verhalten des Prüfers Rückschlüsse auf seine mögliche Befangenheit.

Das Fairnessgebot verpflichtet den Prüfer, darauf Bedacht zu nehmen, dass das Prüfungsverfahren hinsichtlich des Stils der Prüfung und der Umgangsformen der Beteiligten einen einwandfreien Verlauf nimmt. In der Prüfungssituation ist der Prüfling ohnehin in der schwächeren Position gegenüber dem Prüfer. Die bestehende Verunsicherung darf der Prüfer nicht auch noch befördern, indem er seine Machtposition missbraucht. Ein Prüfer, der die Antworten des Prüflings sarkastisch, spöttisch, höhnisch, verärgert oder in anderer herablassender oder den Prüfling zusätzlich verunsichernder Weise aufnimmt, verletzt das Fairnessgebot. Das muss der Prüfling nicht hinnehmen, auch wenn seine Leistungen tatsächlich nicht den Anforderungen entsprechen sollten. Ein solches Verhalten macht das Prüfungsverfahren rechtswidrig. Die Prüfung ist gegebenenfalls zu wiederholen.

Zum Fairnessgebot gibt es sehr griffige Beispiele aus der Rechtsprechung. Folgende Prüferäußerungen führten zur Annahme eines Fairnessverstoßes durch die Gerichte:

  • "Reden Sie bitte nicht wie Ihr Landsmann Jürgen von Manger, ich habe nichts verstanden, reden Sie anständig mit mir." (Der Prüfling sprach anscheinend in einem breiten Ruhrgebiets-Idiom. Jürgen von Manger war ein Schauspieler,der in der von ihm gespielten Kunstfigur Adolf Tegtmeier die dortige Klangfärbung liebevoll parodierte.)
  • "Blödsinn."
  • "Sie können nicht einmal das Einmaleins, wie wollen Sie dann Physiologie verstehen!"
  • "Jetzt wollen wir aber mal voranmachen,wir erwarten von Ihnen heute Glanzleistungen, und eines kann ich Ihnen jedenfalls sagen ­ ­ – wie würde man das beim Kommiss ausdrücken ­ – Sie werden hier auf dem Zahnfleisch wieder rausgehen."
  • "Ja, das ist richtig, vielleicht haben Sie es gewusst, vielleicht haben Sie es aber auch nur geraten."

Nun darf man natürlich auf der anderen Seite auch das Prüferverhalten nicht überinterpretieren. Eine Prüfung ist eine ernsthafte Sache, und da ist gegen eine ernsthafte Grundstimmung vom Prinzip her nichts einzuwenden. Der Prüfer darf dem Prüfling sehr wohl in sachlicher Weise seine schlechten Leistungen vorhalten oder ihn in ruhigem und sachlichem Ton auffordern, sich nicht zu wiederholen. Auch angemessene kurze Unterbrechungen eines Prüfungsvortrags durch Zwischenfragen sind statthaft. Selbst harte Kritik an den Prüfungsleistungen ist hinzunehmen, wenn sie in sachlicher Form und ohne stilistische Entgleisungen vorgenommen wird. Bloße Ungeschicklichkeiten oder beiläufige Äußerungen des Prüfers, die auf mangelndes Einfühlungsvermögen des Prüfers in die besondere Anspannungssituation beim Prüfling schließen lassen, müssen nicht immer schon eine rechtlich relevante Verletzung des Fairnessgebots darstellen. Maßgeblich kann allerdings bei mehreren "kleineren" Entgleisungen auch eine Gesamtschau sein, aus der sich dann eben doch ein generell abwertendes Verhalten des Prüfers und somit ein Verstoß gegen das Fairnessgebot ergibt.

Rechtsprechungs-ABC zum Fairnessgebot

  • Der Prüfer hat während der mündlichen Prüfung dem Prüfungsgeschehen seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. Mit dieser Forderung lässt sich auch eine nur beiläufige Beschäftigung mit prüfungsfremder Literatur grundsätzlich nicht vereinbaren (OVG Münster, 4.4.1986 ­ 15 A 2304/83).
  • Der vom Prüfer hergestellte körperlich nahe Kontakt stellt für sich allein keine herabsetzende oder verletzende Behandlung des Prüflings dar (VGH Kassel, 7.1.1988 ­ 3 UE 2123/86).
  • Der Grundsatz des fairen Prüfungsverfahrens ist nicht verletzt, wenn der Vorsitzende eines Prüfungsausschusses während der mündlichen Prüfung seinen Platz verlässt, sich hinter den Prüfling setzt und dabei mit den übrigen Prüfern in Blickkontakt bleibt (VGH Kassel, 7.1.1988 ­ 3 UE 1600/87).
  • Ein Prüfer, der auf Fehlleistungen im Prüfungsgespräch mit einer von Sarkasmus und Unsachlichkeit geprägten Kritik reagiert, verletzt das Gebot der Chancengleichheit sowie das Recht des Prüflings auf ein faires Verfahren (BVerwG,28.4.1978 ­ VII C 50.75).
  • Es verletzt den Prüfling in seinem Recht auf gleiche ­ faire ­ Prüfungschancen, wenn der Prüfer auf nicht prüfungsrelevante Sprachschwierigkeiten des Kandidaten keine Rücksicht nimmt, sondern sie sogar zum Gegenstand des Prüfungsgesprächs macht (VGH Mannheim, 25.7.1980 ­ 9 S 1331/80).
  • Ein unfaires Verhalten kann auch dann vorliegen, wenn sich die äußere Gestaltung der Prüfung soweit von der üblichen Prüfungspraxis entfernt, dass der Prüfling allein dadurch benachteiligt wird. (Hier bejaht: die Besonderheiten der Prüfung bestanden darin, dass der Prüfling allein geprüft wurde, dass die Dauer der Prüfung ungewöhnlich lang war, dass die Untersuchung der vorgestellten Patienten in die Prüfung einbezogen wurde und dass der Prüfungsablauf im Einzelnen festgehalten wurde.) (OVG Lüneburg, 20.1.1987 ­ 10 A 98/85).

Dr. Christian Birnbaum
http://www.birnbaum.de

Erschienen in dentalfresh #4 2006.