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Zahniportal-Blog

Mimi-mimi-mi, oder: Der optimale Zahni-Student ist ein asexueller Vollwaise

Geschätzte Leser,

all die „Zahnmedizin-bejahenden“ Beiträge der Vergangenheit sind von keinerlei Wert, wenn man sie nicht abwägt gegen die dunkleren Seiten dieses Studiums. Pünktlich zum Depressionsmonat November braucht’s jetzt auch mal ein Mimi-mimi-mi! Es offenbart sich mir vor allem dieser Tage, wie wahnsinnig einschränkend dieses Studium sein kann.

Es ist Hochsaison für indoor-entertainment. Als Science Slammer und Comedian habe ich pro Woche ca. 1-3 Auftritte irgendwo in Deutschland. Das gibt dann schon manchmal eine Nacht im ICE, nur um dann vor Unibeginn nochmal 1 Stunde zu Hause in einem Bett schlafen zu können. Ich wurde erst wieder letzte Woche mehrmals in der Zahnklinik angesprochen ob ich krank sei – dabei ist das einfach nur mittlerweile mein Gesicht. Resting Sick Face, könnte man sagen. In meinen Tränensäcken könnte ich mittlerweile meinen Pfand wegbringen – wenn nur Zeit dafür bliebe. Stattdessen stapeln sich daheim die Flaschenberge. Naja, ist auch ’ne Art der Altersvorsorge.

Leider erlaubt der rigide Tagesplan eines Zahnklinikers (spätestens ab dem 6. oder 7. Semester) leider kaum noch eine Nebenbeschäftigung, sei es nun Sport, Job oder Hobby. Fast jeden Tag gilt es von 07:30-17:00 Uhr anwesend und konzentriert zu sein, nur um danach in seiner sog. „Frei“-Zeit Dinge nachzulesen oder Zahnspangen biegen zu müssen. Nicht zu Unrecht witzelte in der ersten Vorlesung unser Oberarzt, dass wir unsere Wohnungen doch gleich untervermieten sollten, da wir fortan ohnehin nur noch in der Zahnklinik sein werden. Der gleiche Arzt bat uns allerdings auch im Namen der Ergonomie pro Woche mindestens 3 Mal Sport zu machen. Naja, wenn man sein Zuhause ja eh untervermietet hat, dann muss man für ’ne Dusche ja ohnehin ins Fitti! Und ironischerweise wird man beim Bulimie-Lernen eh ganz schön fett. Da muss man ohnehin mal gegensteuern.

Selbst wenn man seinen Fitness-Sold erfüllt haben sollte, bleiben ja noch die ganzen anderen Pflichtpunkte der Checkliste „Leben“: Familie, Freunde, Wohnungs- & Körperhygiene-Instandhaltung, Liebesleben/Beziehung. Vor allem letzteres leidet deutlich, wenn man sich rituell um ca. 21 Uhr in eine leblose Hülle verwandelt. Das musste ich erst kürzlich erneut schmerzlich erfahren und eine Beziehung beenden.

Was hinzu kommt: ironischerweise wird ausgerechnet im Studiengang Zahn-Medizin Kranksein nicht anerkannt. Selbst wer mit Attest Kurse verpasst, der war halt eben nicht anwesend und kriegt daher seinen Schein nicht. Kranksein – pah! Das ist nur was für Patienten!

All diese Dinge sind hinsichtlich formeller Vorgaben sicherlich nicht änderbar, aber es ist doch schon fast zynisch: ein wissbegieriger, leidenschaftlicher Zahnmedizin-Student kann man nicht sein, weil einem das Studium dafür keine Zeit lässt. Wie gerne würde ich abends durch ein paar oralmedizinische Texte blättern, aber nach so einem Tag befindet sich das Hirn einfach nur noch in einer ermüdeten Trotzhaltung.

Also: wenn man dem System glauben möchte, so ist der optimale Zahnmedizinstudent ein unsportlicher, unbeliebter und von jeglichen Nebeninteressen befreiter, asexueller Vollwaise, der vorher im Lotto gewonnen hat. Und von so einem Psycho will am Ende doch auch keiner behandelt werden, oder?

Unter’m Strich bin ich natürlich dankbar für dieses Studium, und vor allem die Patienten, die sich uns anvertrauen. Mit ihnen rumzuwitzeln bei den Behandlungen macht das Ganze wirklich wieder erträglicher. Und auch unsere Ärzte sind in Lehre und Kommunikation erste Sahne!

Deswegen: Mimi-mimi-mi over! Zähne zusammenbeißen und weitermachen. Bald ist ja Weihnachten. Das kann ich dann mit der fremden Familie in meiner untervermieteten Wohnung ja zusammen feiern.

Weise Grüße,
Moritz