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Zahniportal-Blog

Aus der Gefühlswelt eines Methusalem

Bilder: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Old_man_on_a_bench,_Santiago.jpg https://es.wikipedia.org/wiki/Archivo:White_Tiger.png

Geschätzte Leser,

wie ist es eigentlich so, im stolzen Alter von 27 Jahren nochmal ganz von vorne anzufangen, und mit Anfang 30 als dentaler Methusalem in den Wirren eines Zahnmedizinstudiums gefangen zu sein?

Einerseits ändert sich das Selbstempfinden innerhalb des privaten Umfelds.
Vor allem als Mann ist der zweite Bildungsweg sicherlich nicht einfach: In einem Alter, in welchem andere beginnen eine Familie zu gründen und zu versorgen, begab ich mich auf einen aus überteuerten Frasaco®-Plastikzähnen gepflasterten Pfad in eine ungewisse Zukunft – denn das einzige, was an ihr wirklich gewiss war, waren die hohen Kosten. Das Zahnmedizin-Studium gilt nicht zu Unrecht als das teuerste Studium Deutschlands; erst recht, wenn man verzweifelt versucht das mangelnde zahntechnische Talent mit extravagantem Instrumentarium zu kompensieren. Ein Ü30-Student mit leerem Geldspeicher (dafür aber exquisitem Wachsmesser) macht auf dem Partnermarkt nicht sonderlich viel her, zumal Frauen meiner Altersklasse gerne schon den Kinderwunsch beim ersten Date äußern. Kinder stehen aber laut meiner Buchhaltung gleich neben Traumgebilden wie einem Jetski, der eigenen Praxis und einer Rotte weißer Tiger. Im Freundeskreis wird dagegen entbunden wie ein junger Houdini, und man selbst sitzt mit Anatomie-Atlas auf dem Schoß bei der Blutplasma-Spende um die Lernzeit möglichst wirtschaftlich zu nutzen. Als Mann der alten Schule hat man einen gewissen Selbstanspruch einen Versorger darstellen zu können, und das ist im Rahmen dieses Studiums unmöglich.

Innerhalb der Uni ist das wiederum anders.
Kurz vor meiner allerersten Chemie-Vorlesung hielt mich ein Kommilitone scheinbar für den Dozenten und ja, er siezte mich! Dem habe ich gleich mal eine schlechte Note eingetragen. Tatsächlich war es anfangs ungewohnt mit taufrischen Abiturienten (und ihrem abscheulichem Musikgeschmack) zusammen zu lernen und zu feiern. Mittlerweile weiß ich aber, dass ich dadurch tatsächlich im Herzen jünger bleibe. Hinzu kommt eine veränderte Wahrnehmung und Neubewertung der eigenen Lebenserfahrung, sobald man von seinen neuen, jungen Freunden um Rat gefragt wird. Einem „Also, meine Freundin knutscht auf Partys immer mit anderen rum. Soll ich Schluss machen?“ entgegnete ich einmal nach einer langen, dramatischen Denkpause mit einem abgeklärten  „Jo“. Die eigene, hart erworbene Lebenserfahrung macht sich erst im Umgang mit jüngeren Mitmenschen bemerkbar – und endlich auch mal nützlich.

Zu guter Letzt noch ein Wort zur akademischen Herausforderung. Die Aufnahmefähigkeit des verkalkten Oberstübchens ist natürlich etwas beschränkter als die eines 19-jährigen Einserabiturientenhirns – sprich, mein Lernplan ist immer auf ein Höchstmaß an Effizienz und Strategie getrimmt. Ich lerne nicht auf Lücke, ich lerne auf Schluchten. Anders geht es nicht mehr. Muss mir ja schließlich auch noch zusätzlich merken, wann ich welche Tabletten einschmeißen muss!

Von Vorteil wiederum ist die Seniorität dann aber spätestens in mündlichen Prüfungen. Während jüngeren Kommilitonen dabei häufig das Adrenalin literweise aus den zitternden Poren rausspritzt, schaffen es ältere Studenten meist mit einer gesünderen Abgeklärtheit an die Sache ranzugehen. Je älter man wird, desto besser kennt man sich. Das buchstäbliche Selbst-Bewusst-Sein ist ausgeprägter. Vielleicht ist es aber auch eine Mischung aus Resignation und Fatalismus, so genau lässt es sich nicht beschreiben. Der Sensenmann klopft ja quasi schon an die Tür, da kann man in der Prüfung auch ein bisschen YOLO fahren.

Alles in allem ist es eine einzigartige Erfahrung, auf die ich mein Leben lang lächelnd zurückblicken werden kann – wenn ich dann mal bei nach Feierabend in meiner Praxis Anekdoten austausche mit meiner Rotte weißer Tiger.

Weise Grüße,
Moritz